Der Anker fiel vor Einheimischen-Inseln, Hotelinseln und dort, wo Schiffe direkt am Strand gebaut werden. Im Sog der Strömungen tauchten wir ein in die Stille der Atolle und erlebten einzigartige Begegnungen mit den Bewohnern der Tiefe.
Februar 2005: Wien versank im Schneechaos als sich mir die Möglichkeit bot an einer 14-tägigen Tauchsafari in den Malediven teilzunehmen. Die Gruppe bestand aus erfahrenen Tauchern, die das Gebiet kannten. Einige von ihnen sind Berufstaucher der Wiener Feuerwehr. Die Safari versprach ein Abenteuer zu werden, das nicht mit organisiertem Touristentauchen auf den Malediven zu vergleichen ist. Der Besuch von sechs verschiedenen Atollen war geplant.
Eigentlich bin ich Seglerin, aber auch begeisterte Fotografin. Auf meinen früheren Segelreisen eignete ich mir im Laufe der Zeit Grundkenntnisse der Taucherei an. Allerdings bin ich alles andere als eine erfahrene Taucherin. Es sind vielmehr die Motive, die mir den Mut verleihen, mich mit Flasche und Tarierweste in die Tiefe zu stürzen.
So landete ich auf den märchenhaften Inseln im Indischen Ozean, die für die meisten Menschen der Inbegriff von Traumurlaub sind. Die Inselgirlande sieht von der Luft aus betrachtet wie die Auslage eines Juweliergeschäfts aus, das Jadehalsbänder mit dazwischen gestreuten Smaragden auf dunkelblauem Samt drapiert hat. Es gibt keine Berge und Flüsse. Das Besondere an diesen unzähligen Inseln ist ihre Anordnung. Sie bilden die berühmten Malediven Atolle. Im Inneren, in der Lagune, liegen weitere Inseln verstreut, umspült von türkisleuchtendem Wasser und eingerahmt von schützenden Riffen.
Die Malediven sind für Taucher ein Traumziel. Egal ob Weißspitzenhaie, Mantarochen, Walhaie, Mördermuscheln oder bunte Korallenfische - mit ein wenig Glück ist man mitten unter ihnen und verfällt in einen „Shooting- Rausch“. Wartet man in den Morgenstunden auf 25 Tiefe, ziehen Hammerhai vorbei oder es treffen sich am „Manta- Point“ die großen Rochen, um sich ihre Kiemen von kleinen Putzerfischen säubern zu lassen.
Genau wie bei der Übernahme eines Charterbootes gibt es auch vor jedem Tauchgang ein so genanntes Briefing. Der „Unterwassertörn“ wird an Hand einer Karte durchgegangen, auf Strömungsverhältnisse hingewiesen, markante Punkte herausgepickt und Sammelstellen festgelegt. Nach dem weltweit anerkannte „Padi-System“ tauchen wir als 2 Personen Team um sich notfalls Hilfe zu leisten. Einen Notaufstieg aus 25 Meter Tiefe mit abwechselnden „Luftholen“ aus einer Flasche will ich mir gleich gar nicht vorstellen! Und schon gar keine tückischen Strömungen, die mich fortreißen und mich mutterseelenallein im Indischen Ozean zurücklassen. Mit derartigen Szenarien im Kopf lausche ich dem ersten Briefing und kämpfe gegen das „Angst fressen Seele“ Syndrom an. Ich schrecke mich nicht vor Großfischen. Ganz im Gegenteil, sie will ich vor die Linse bekommen. Es sind die Strömungen dieser Gewässer, vor denen ich mich fürchte. Man rauscht mit beachtlicher Geschwindigkeit durchs Wasser, bremst und manövriert mit den Flossen, hofft nicht ins unkontrollierbare„Trudeln“ zu verfallen und hackt sich zum Stoppen mit Hilfe eines Strömungshackens an irgendeinem Unterwasserbrocken fest. Als mir Stefan diesen Hacken mit 60 cm Leine an die Tarierweste knüpft, wird mir schlagartig klar, worauf ich mich eingelassen habe. Stefan ist ein 25-jähriger Feuerwehrmann, Spezialgruppe Tauchen, schneidig und furchtlos, wie diese Jungs halt sein sollen. Er kennt das Revier und fiebert dem Abtauchen entgegen. Stefan, wird also auf mich aufpassen? Ich hab so meine Zweifel! Er ist jung, ungestüm und freut sich auf „Action“. Na bravo! Während Stefan gekonnt Jackett und Flasche zusammenbaut und im Geist schon unter den Großfischen schwimmt, fummle ich unschlüssig an meiner Ausrüstung. Sitzt die Flasche so richtig? Wird meine Maske dicht sein? Hilfe, meine Haare lassen sich nicht bändigen. Was hat Stefan gesagt? Springen und sofort Abtauchen! Direttissima auf 20 Meter, sonst „verblässt“ uns die Strömung. Mundstück mit den Zähnen festhalten! Kontrollieren, ob die Kamera am Jackett gesichert ist. (Falls ich sie vor Schreck fallenlasse.) Strömungshacken in der Tasche verstauen. Und - immer in seiner Nähe bleiben. „ Hast du eh kein Problem beim Druckausgleich?“, war seine abschließende Frage. Sollte ich ihm jetzt sagen, dass mein letzter Tauchgang zwei Jahre zurückliegt? Lieber nicht. „Nein, ich habe kein Problem beim Druckausgleich“, gebe ich lächelnd zur Antwort. Stefan springt, ich hinterher und versinke mit einem Platsch im Indischen Ozean. Das Blei meiner Weste zieht mich in die Tiefe. Beäugt von den ersten Fischschwärmen empfangen mich die Weichheit des Wassers und die Stille dieser Welt. Außer dem Atemgeräusch gibt es keine Nebengeräusche. Die Faszination des Tauchens ist kaum in Worte zu fassen. Sich schwerelos in einer unbekannten Umgebung nur mit Flossen fortzubewegen erweckt immer wieder Staunen und Ehrfurcht. Plötzlich ist man der Schöpfung ganz nahe, inhaliert quasi ihr Meisterwerk und bedankt sich das erleben zu dürfen.
Stefan wartet schon, schwebt perfekt tariert dahin und lächelt mir zu. Ich forme Daumen und Zeigefinger zu einem „O“, stoppe mein Absinken, werfe einen Blick auf den Belichtungsmesser meiner Kamera und ergebe mich der moderaten Strömung. Stefan ist rührend besorgt, nimmt mich bei der Hand, um mir etwas zu zeigen, korrigiert meine Flossenstellung und lacht mir aufmunternd zu. Wir bleiben eine gute Stunde…..
Eine Tauchsafari in den Malediven erfordert zwei Schiffe. Ein starkes Motorschiff mit Wohnkomfort und ein „Dhoni“, das traditionelle Holzboot der Malediven, das an jedes Riff heranfahren kann, während das Mutterschiff vor Anker liegt. Unsere Safari wird von einer 6-köpfige Crew betreut. Unter dem Kommando von Kapitän Zaki, einem dunkelhäutigen Malediver mit krausem Kinnhaar, kocht für uns Asoka aus Sri Lanka, UW-Guide Soba plant und führt die Tauchgänge, während zwei weiter Crewmitglieder sämtliche andere Arbeiten auf dem 21 Meter langen „Triton“ erledigen. Niya ist auf dem Dhoni für das Tauchequipment zuständig und Ulaa steht an der Pinne. Wir sind zu zehnt. Fünf schneidige Feuerwehrmänner und fünf andere. Eine lustige Truppe. Otto nenne ich insgeheim „Die Nadel“. Er pirscht sich unbemerkt an sämtliche Meeresbewohner heran und drückt ab. Seine Muränenfotos sind nicht zu toppen. Stefan ist mein witziger „Gelbbauch Dolfin“, weil der gelbe Streifen seines „Neos“ ihm das Aussehen eines Großfisches verleiht. Tja, so „gondeln“ wir im wahrsten Sinn des Wortes durch die Tiefe der Atolle. Drei Tauchgänge pro Tag, wenn möglich einen davon nach Einbruch der Dunkelheit sind schon ein dichtes Programm. Da lässt man sich gerne von der Crew an Bord verwöhnen. Ich verfolge mit Interesse die Navigation des Kapitäns, stehe am Steuer, helfe unserem Asoka in der Pantry, schreibe Rezepte auf und genieße meine Einzelkoje vorne im Bug. Sie zählt zu den Crewräumen und vermittelt mir irgendwie Segelromantik. Wenn es nicht zu windig ist, schlafe ich oben am Sonnendeck, freier Blick auf die Milkyway. Mit 12 Knoten Fahrt ist die Triton erheblich schneller als jedes Segelboot. So bleibt uns viel Zeit für Landgänge: Sunset an der Bar einer noblen Hotelinsel, wo vor unseren Augen gerade das Wasserflugzeug neue Gäste bringt, Besichtigung einer Schiffswerft im Nordmale Atoll, „Betriebsspionage“ in einer Inselschule im Ari Atoll, und vieles mehr. Ich stelle mich als österreichische Lehrerin vor und werde auf das herzlichste empfangen. In schicken Schuluniformen, von mahnenden Sprüchen umgeben, pauken die Kids bereits in der Grundschule zweisprachig mit unterschiedlichen Schriften.
„Language is a dress of thoughts“, „The crown and glory of life is character“
In Rasdhoo Atoll besuche ich Lilly, eine ehemalige Kollegin von mir, die mit ihren Gatten Dr. Kikinger, Meeresbiologe und Leiter der Biologischen Station auf Kuramathi lebt. Nach zwei langen Jahren gibt es viel zu erzählen. Ich genieße einen halben Tag „Ressortleben“, die Kunst, kultiviertes Nichtstun auf einer idyllischen Trauminsel zu pflegen. Knapp nach der Abreise sichten wir einen Walhai. Es bleibt keine Zeit für die Taucherausrüstung. Wir springen mit Maske und Schnorchel zu dem sanften Riesen (werden bis zu 20 Meter) hinein, und er erweist uns die Ehre ihm ganz nahe sein zu dürfen.
Ein Erlebnis besonderer Art widerfährt mir, als ich auf den „early moning dive“ verzichten und stattdessen alleine durch Gassen der Einheimischen Insel Gaafaru spaziere. Plötzlich lächeln mir die Frauen zu, laden mich in ihre Hütten ein und zeigen mir ihre Babys. Es scheint als wäre ich für kurze Zeit in ihrer Frauengemeinschaft aufgenommen. Im stillen Einverständnis darf sie fotografieren. Voll Stolz gewähren sie mir Einblick in ihr Privatleben. Sie leben in einfachen Hütten, die aus Korallenstein erbaut und mit Palmenblättern gedeckt sind. Vor jedem Eingang gibt eine mit Fischernetzen bespannte Bank und in jedem Wohnzimmer hängt eine Schaukel. In den Morgenstunden fegen sie mit Palmwedeln die Sandwege glatt und verrichten ihre Hausarbeiten. Ihre Kleider leuchten in allen Farben, drücken Lebensfreude aus und unterstreichen ihre zierlichen Figuren.
Unzählige schöne Momente durfte ich auf dieser Tauchsafari erleben. Egal, ob ich das mystische Wrack der Lady Christine auf dem Meeresgrund des Indischen Ozeans besichtigte, ein Riffhai sich zum Portrait stellte oder ich Kokosnüsse kauend über die Hektik unserer Welt philosophierte. Nach solch einer Reise drängt sich schlussendlich die Frage auf: „Was zählt am Ende der Tage? Reichtum und Machbarkeit oder Glück und Zufriedenheit?“
Text: Andrea Sikorski Fotos: Andrea Sikorski und Otto Steinhofer