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Eine Sommerreise, die im Packeis endet

Es waren immer die einsamen Flecken auf unserem Planeten, denen meine Sehnsucht galt.

Jene dünn besiedelten Regionen, wo der Tourismus das Interesse an den Fremden noch nicht zerstört hat.  Ich segelte nach Madagaskar, genoss die Einsamkeit in der Straße von Mosambique, erkundete die unbewohnten „Inseln unter dem Wind“ vor der Küste Venezuelas und vieles mehr. Meine Reisen waren sonnendurchflutet. Ich segelte zwischen bunten Fischen, unberührten Riffen  und ankerte in türkisfarbenen Buchten. Immer in Äquatornähe, bloßfüßig und von den Elementen umschmeichelt.

Schön langsam schob sich das Interesse für polare Regionen in mein Bewusstsein. Auf eigene Faust loszusegeln entfiel diesmal, da es in meinem Freundeskreis niemanden gab, der meine „polare Sehnsucht“ teilte. Im globalen Netz wurde ich fündig und lernte den Skipper der Pagan, einer 46 Fuß Stahlschoner Schwenkkielyacht, Reinhard Schmitzs kennen, der Kojencharter in Spitzbergen anbot. Wir mailten über ein Jahr bis ich zu Pfingsten 2006 in Bremerhaven an Bord ging und die lange Reise nach Spitzbergen entlang der norwegischen Küste und über die Barrets See antrat. 

Ich durfte eine Reise miterleben, die alle Erwartungen übertraf. Die langsame Annäherung an den hohen Norden, das allmähliche Gewöhnen an die Witterungsverhältnisse und an ein Bordleben, das durch Nässe und Kälte geprägt war. sowie das allgegenwärtige Licht ließen mich in eine mir völlig unbekannte Welt eintauchen. Wir erlebten Sturm bis Windstärke 10 mit „dangerous waves“, die uns 45 sm vor Alesund fast auf die Felsen auflaufen ließen, motorten in langen Flauten, glitten ausgebaumt unter tiefblauem Himmel durch den inneren, norwegischen Schärenweg, ankerten in waldgesäumten Fjorden oder direkt am Gletscher und unternahmen traumhafte Bergwanderungen sowohl auf den Lofoten als auch auf Spitzbergen. Es gab Teilstrecken, wo wir tagelang auf See waren und im Rhythmus der Wachen ein Bordleben ohne große Worte lebten. Wir fischten, verwöhnten unsere Gaumen mit feinster Bordküche, waren ständig am Segelwechseln oder hingen im Nebel am Radar. Es gab aber auch die Bikinistunden an Deck und Strände mit weißem Sand, wo wir schreiend bei 9 Grad Wassertemperatur schwimmen gingen. Zwischenzeitlich zog ich mit dem Beil los um Holz zu machen. Lieferung per Beiboot. Der schwedische Ofen mitten in der Messe war die letzte Rettung, wenn die Kälte tief in den Knochen saß. 

Begleitet von Millionen Seevögeln segelten wir durch die Einsamkeit des hohen Nordens, während sich die Küste als gigantische Bildershow präsentierte und alle unsere Sinne berührte. Ich fühlte mich geborgen in dieser kleinen schaukelnden Welt, auch wenn ich mir als „Faserpelzrolle mit Plastikhülle“ eine neue Art von Beweglichkeit aneignen musste. Jeder Landfall war ein Erlebnis, jede Gummibootfahrt ein Abenteuer im eiskalten Wasser. Als nach 6 Wochen endlich Spitzbergen am Horizont auftauchte, und wir von Buckelwalen begleitet unter strahlender Mitternachtssonne im Treibeis vor der Küste landeten, war ich  einfach überwältigt! Die unberührte Wildnis der Inselgruppe, die Farben der Arktis und das Segeln zwischen Treibeis versetzten mich in einen Zustand euphorischer Besinnlichkeit. Das ist also das Ende der Welt, eine der Polkappen unseres Planeten bedeckt mit Gletschern, die Heimat der Eisbären, Walrösser und Robben. Nirgendwo habe ich die Schöpfung unmittelbarer erlebt als hier. Ich fühlte mich hier nicht als Individuum. Es übermannte mich eine Art „Wir-Gefühl“, das mich schlagartig unsere Rädchenfunktion auf diesem Planeten erkennen ließ.

Die Pagan ankerte vor der polnischen Polarstation. 30 Wissenschaftler verbringen hier den arktischen Sommer. Während der Wintermonate in der Polarnacht bleiben nur 9 hier. Wir wurden aufs herzlichste empfangen. Man hisste sogar uns zu Ehren die deutsche und die österreichische Flagge. Sehr ergreifend! Wir durften die Wissenschafter auf ihren Wanderungen zu den Gletschern hoch über die Nebelgrenze begleiten und erfuhren viel über ihre Arbeit. Als Wienerin wird man hier oben quasi als Exotin betracht. Es erfüllte mich mit Stolz miterleben zu dürfen welche Hochachtung und Sympathie man unserem Minivolk und unserem schönen Land entgegen bringt. Welche Geste kann diese Herzlichkeit zurückgeben? Ich fragte einfach. „Ob ich denn kochen könne?“, wollte der Stationsleiter wissen.  Natürlich, ich koche sogar leidenschaftlich gern. Als ich dann für 32 Personen den Klassiker Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat und Reis zubereitete, kam ich doch ganz schön ins Schwitzen.

Auszug aus dem Logbuch: 

3. Teilstück: Torsvag ( Nordnorwegen) -  Bäreninsel  - Spitzbergen
Mittwoch, 5. Juli 2006, 3 Uhr morgens.


Die norwegische Küste liegt hinter uns. Schön langsam gewöhne ich mich an den Am-Wind-Kurs und an die Kälte, auch wenn ich wie eine Babuschka daher stapfe: Unbeweglich und steifbeinig. Pagan braust mit bis zu 6 kn Fahrt unter 4 Segeln nordwärts. Gelegentliche Ein- und Ausreffaktionen am Groß halten den Kreislauf stabil. Sonst tut sich nichts. Große Stille in der Plicht. Ich fotografiere das Schäumen der Bugwelle und lichte die vermummten Gesichter meiner Mitsegler ab. Dazwischen trinke ich Earl Grey, knabbere eine Prinzenrolle  und betrachte skeptisch die graue, öde Welt um mich. Um die Pinne brauche ich mich nicht zu kümmern. Die hat „Windpilotin Ariesa“, die Dame mit der zarten Fahne übernommen und hält zuverlässig den Kurs.
Ich habe mir das Schiebeluk als Schreibtisch eingerichtet und schreibe mit Bleistift in ein winziges Ringbüchlein. Eigentlich finde ich es hinter der Sprayhood recht gemütlich. Hier kann ich mit der „Schnellschusskanone“ auf fotogene Wasserfontänen lauern oder einfach meinen Gedanken nachhängen. Hier und da muss ich allerdings meine klammen Finger anhauchen, sonst fällt mir der Bleistift aus der Hand.
Naja, ich segle ja im Eismeer und nicht in der Südsee……

Text: Andrea Sikorski

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